KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Es mag voreilig sein, von einem neuen serbischen Kino zu sprechen. Dass aus Serbien gegenwärtig fantastische Filme kommen, mag hingegen niemand bestreiten. Nach dem Ende der Ära Miloševic befindet sich die serbische Filmszene in einem Aufbruch. Junge Talente wie Nikola Ležaic, Stefan Arsenijevic und Vladimir Perišic feiern im In- und Ausland Erfolge, während die Produktionen von Želimir Žilnik, Emir Kusturica und anderer erfahrener Regisseure weiterhin international wahrgenommen werden und dafür sorgen, dass das zeitgenössische serbische Kino weltweit zu den aufregendsten und vielfältigsten Kinematografien zählt. Begleitet und unterstützt wird dieser Aufbruch von einer Kulturpolitik, die den serbischen Film fördert: In Novi Sad findet seit 2007 ein serbisches Filmfestival statt und das 2005 gegründete Film Center Serbia unterstützt die internationale Vernetzung der Filmschaffenden. Hierzulande gelangen jedoch nach wie vor viel zu wenige serbische Filme in den Verleih, für ein Studium der jungen Filmszene aus Belgrad ist immer noch der Besuch eines Festivals notwendig. Die Reihe KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN, die 19 Spiel- und Dokumentarfilme vorstellt, präsentiert nun erstmals eine umfangreiche Filmschau des zeitgenössischen serbischen Kinos.
Eine Filmreihe in Zusammenarbeit mit der Botschaft der Republik Serbien und mit freundlicher Unterstützung des Film Center Serbia, besonderer Dank an Bernd Buder, Kristina Jovanovic und Una Domazetoski.
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Zavet
Versprich es mir!
SRB/F 2007, R: Emir Kusturica, D: Marija Petronijevic, Uroš Milovanovic, Ljiljana Blagojevic, Aleksandar Bercek, 125′ 35 mm, OF m. dt. + frz. UT
Wegen seiner politischen Ansichten, in denen er Anti-Globalismus mit vormodernem Ethno-Serbismus verbindet, der auf die dörfliche Kleinstadt als Wiege der Zivilisation setzt und der ihn in die geistige Nähe mit serbischen Nationalisten bringt, geriet Emir Kusturica in die Kritik der internationalen Feuilletons. Seine nationalistischen Positionen stellt er auch in Konzerten mit seiner Rockband No Smoking Orchestra unter Beweis, in deren Liedern es unter anderem heißt: „Ko ne voli Radovana, ne video Ðurdevdana“ (deutsch: „Wer Radovan nicht liebt, möge den St.-Georgs-Tag nicht (mehr) erleben“, eine verschlüsselte Widmung an Radovan Karadžic). Dessen ungeachtet, ist Kusturica, der sich 2005 auf den traditionellen serbischen Vornamen Nemanja taufen ließ, der künstlerisch wohl einflussreichste jugoslawische und serbische Regisseur seit den 1980er Jahren. Mit Versprich es mir!, einer tolldreisten Ethno-Klamotte, deren phantasmagorischer Humor treffsicher zwischen Harold Lloyd und Monthy Pyton oszilliert, erweist er sich erneut als Meister des von ihm selbst geschaffenen Genres der folkloristischen Farce. Diesmal sind es die Bewohner eines abgelegenen Dorfes, die am Rande einer außer Rand und Band geratenen Mann-sucht-Frau-Geschichte in den Zustand eines süffigen Hier und Jetzt hinüberdelirieren. (bb)
am 12.5.2012 um 21.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Medeni mesec
Honeymoons
SRB/AL 2009, R: Goran Paskaljevic, D: Nebojša Milovanovic, Jelena Trkulja, Jozef Shiroka, Mirela Naska, 95′ 35 mm, OmU
Auf der Suche nach dem Glück verlassen zwei Paare den Balkan in Richtung Westen. Maylinda und Nik zieht es aus den albanischen Bergen nach Italien, Vera und Marko aus Belgrad in Richtung Wien. Doch alle vier scheitern indirekt an den politischen Wirren in ihrer Heimat. In der ersten und bisher einzigen Koproduktion zwischen Serbien und Albanien weisen der serbische Regie-Altmeister Goran Paskaljevic und sein albanischer Kollege Genc Permeti pointiert auf den selbstzerstörerischen Charakter der über Jahrhunderte tradierten Feindschaft zwischen Serben und Albanern hin. Beide Paare, die den gleichen Traum vom besseren Leben teilen, scheitern nicht am vermeintlichen Feind, sondern an den Nationalisten in den eigenen Reihen. Doch auch Europa gibt den jungen Leuten keine Chance: Weil der Albaner Nik mehrere kosovarische Einreisestempel in seinem Reisepass hat und der Serbe Marko im serbisch dominierten Kosovska Mitrovica geboren wurde, werden sie mit einem Attentat auf eine italienische KFOR-Patrouille in Kosovo in Verbindung gebracht und an der Schengen-Außengrenze festgenommen. Ein nachdenkliches politisches Statement über die destruktive Kraft ethnischer Stigmata. (bb)
am 18.5.2012 um 19.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Ljubav i drugi zlocini
Liebe und andere Verbrechen
SRB/D/A/SLO 2008, R: Stefan Arsenijevic, D: Anica Dobra, Vuk Kostic, Hanna Schwamborn, Milena Dravic, 105′ 35 mm, OmeU
Neu-Belgrad, die 300.000-Einwohner-Plattenbausiedlung vor den Toren der serbischen Hauptstadt. Die Betonfassaden aus glücklicheren Jahren haben moosiges Patina angesetzt, die Arbeitslosen- und Kriminalitätsraten sind hoch, das Sozialprestige ist entsprechend niedrig. In Neu-Belgrad lebt Anica, die mit dem Geld ihres Liebhabers, einem lokalen Schutzgelderpresser, abhauen möchte, um sich ein schönes Leben im Ausland aufzubauen. Als Komplizen benötigt sie Stanislav, der seit seiner Schulzeit ein Auge auf Anica geworfen hat. Liebe und andere Verbrechen inszeniert das Psychogramm eines vergeblich Liebenden, der von seiner Umwelt immer wieder ausgenutzt wird. Ein noch jugendlicher Anti-Held, der unentschieden zwischen Mitgefühl und Gewissenlosigkeit, zwischen Tragik und Euphorie pendelt. Liebe und andere Verbrechen ist der erste Spielfilm von Stefan Arsenijevic, dessen Kurzfilm (A)Torzija 2003 auf der Berlinale mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet wurde. (bb)
am 18.5.2012 um 21.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Srbija godine nulte
Serbie, année zéro
F/SRB 2011, R: Goran Markovic, 80′ 35 mm, OmeU
Belgrad im Oktober 2000. Nach zehn Jahren ist die Regierung Miloševic gestürzt. Die Stimmung ist von Euphorie geprägt, doch Serbien steht vor der Aufgabe, zu gesellschaftlicher Normalität zurückzufinden. Wie ist dies nach mehreren Kriegen und jahrelanger Hass-Propaganda möglich? Wie entsteht eine Verantwortung für die Vergangenheit? Wie sehen die Überlebensstrategien für die Zukunft aus? Goran Markovic, ein international renommierter Vertreter der „Prager Schule“, zu denen auch Srdjan Karanovic und Emir Kusturica gehören, setzte sich in mehreren Filmen kritisch mit der Ära Miloševic auseinander, deren Folgen für die politische Kultur Serbiens noch heute spürbar sind. Sein Essayfilm Serbie, année zéro ist einer der ersten Filme, der sich schonungslos mit der medialen und psychischen Kontamination in den 1990er Jahren auseinander setzt – und damals in Serbien kaum gezeigt wurde. (bb)
am 19.5.2012 um 19.00 Uhr
am 20.5.2012 um 21.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Oktobar
October
SRB 2011, R: Ivan Pecikoza, Senka Domanovic, Ognjen Isailovic, Dane Komljen, Damir Romanov, Ognjen Glavonic, Milica Tomovic, 110′ Blu-ray, OmeU
Am 5. Oktober 2000 kulminierten die Straßenproteste in Belgrad in einem Aufstand gegen die Regierung von Slobodan Miloševic und es folgte eine Zeit, die von Hoffnung auf mehr Demokratie geprägt war. Doch der Mord an dem europafreundlichen Premierminister Zoran Djindjic war für viele Serben ein Schock. In October fragen sieben Studenten der Belgrader Filmakademie, die beim Sturz Miloševics selbst noch Teenager waren, nach der condition humaine ihrer Gesellschaft. Sieben unterschiedliche künstlerische Handschriften zwischen Reflektion und Farce; sieben persönliche Einblicke in eine Gesellschaft zwischen Autokratie und Europäischer Union, zwischen Krieg und Versöhnung, auf dem Weg vom alten System in eine neue Welt, von der man noch nicht weiß, wie sie aussehen soll. Eine Gesellschaft, die sich durchlaviert: durch Nationalismus von rechts, Klientelwirtschaft von innen, fehlende Mobilität nach außen. Junge Leute zwischen Vergangenheit und Zukunft. War da mal was? Eine Vision? Ein Aufbruch? (bb)
am 19.5.2012 um 21.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Stara škola kapitalizma
The Old School of Capitalism
SRB 2009, R: Želimir Žilnik, D: Živojin Popgligorin, Robert Paroci, Zoran Paroški, Lazar Stojanovic 122′ 35 mm, OmeU
Želimir Žilnik, enfant terrible und Altmeister des serbischen Films, hat sich, nicht nur in seinem Land, immer wieder mit pointierten politischen Kommentaren zu Wort gemeldet: In Rani radovi, dem Gewinner des Goldenen Bären der Berlinale im Jahr 1969, kritisierte er den jugoslawischen Weg des Sozialismus von links und musste das Land verlassen, um kurz darauf im deutschen Exil mit Öffentliche Hinrichtung, einem bissigen Kommentar zur damaligen RAF-Hysterie, anzuecken. Zurück in Jugoslawien, gehört Žilnik mit seinen provokant-analytischen Essays bis heute zu den Kritikern jeder Regierungspraxis. The Old School of Capitalism setzt sich mit dem gelenkten Niedergang der serbischen Wirtschaft seit der Ära Miloševic auseinander. Viele der oft unter zweifelhaften Bedingungen privatisierten Betriebe gingen bankrott. Es kam zu Betriebsstillegungen und Entlassungen, Massenprotesten und Fabrikbesetzungen. Exemplarisch arbeitet Žilnik den Mechanismus der für viele osteuropäische Transitionsländer typischen Wirtschaftskrise heraus: der Ausverkauf wirtschaftlicher Ressourcen an auf kurzfristigen Gewinn zielende Geschäftsleute und die Wut der Arbeitslosen, die vor dem Nichts stehen. Ein darwinistisches Haifischbecken, in dem sich auch allerhand sektenartige politische Gruppierungen tummeln, die die nahende Revolution wittern und damit Beifall beim verzweifelten ‚Prekariat‘ finden. Eine scharfsinnige Gegenwartsanalyse als bewusst naiv inszenierte Polit-Farce. (bb)
am 20.5.2012 um 18.30 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Pešcanik
The Hourglass
SRB/H/SLO 2007, R: Szabolcs Tolnai, D: Slobodan Custic, Nebojša Dugalic, Jasna Žalica, David Vojnic Hajduk, 107′ DVD, OmeU
Ein Schriftsteller auf der Suche nach seiner Kindheit: Andreas Sam, Sohn einer jüdischen ungarisch-serbischen Familie, sucht in der Vojvodina nach seiner Familiengeschichte und dem im Zweiten Weltkrieg verschwundenen Vater. Kindheitserinnerungen treffen auf eine Gegenwart, in der die Schatten von Krieg, Verfolgung, Nationalismus und ideologischen Dogmen Trauma tanzen. Statt Antworten findet Sam in der zweisprachigen ungarisch-serbischen Grenzregion immer mehr Fragen. Der in Subotica, nahe der Grenze zu Ungarn, geborene Regisseur Szabolcs Tolnai arbeitet in Ungarn und Serbien. In Pešcanik beschreibt er die Geschichte bruchstückhaft als ein Mosaik der Erinnerungen, gesehen aus dem Blickwinkel des inzwischen erwachsenen Sohnes, der in seine Heimat zurückkehrt, um die Vergangenheit zu rekonstruieren. Die fragmentarische, bedrückende Annäherung an eine Ära, die von gegenseitigem Hass und Vorurteilen geprägt war. (bb)
am 23.5.2012 um 20.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Klopka
Die Falle
SRB/D/H 2007, R: Srdan Golubovic, D: Nebojša Glogovac, Nataša Ninkovic, Anica Dobra, Miki Manojlovic, 106′ 35 mm, OmU
Ein ganz normaler Familienvater wird wider Willen zum einsamen Killer: Um die lebensrettende Operation seines Sohnes bezahlen zu können, begeht Mladen einen Auftragsmord im Mafia-Milieu. Doch schon bald wird er zum seelisch Gehetzten. Die Verheimlichung der Tat vor seiner Ehefrau Marija gerät zum emotionalen Poker. Beim Verrat an den eigenen moralischen Maßstäben macht das Gewissen nicht lange mit. Als „balkanische Version von Schuld & Sühne“ bezeichnet Regisseur Srdan Golubovic seinen präzise inszenierten psychologischen Thriller. Aus der Perspektive einer Beichte seziert er die Veränderungen einer Persönlichkeit, eindringlich und mit Respekt für seine Protagonisten. Die Falle erzählt auch die Geschichte über den Niedergang einer Mittelschicht, die eigentlich überall zu den Stützen der Gesellschaft gehören sollte: „Mladen und Marija sind gebildete Menschen, die in dieser neuen Zeit auf keinen grünen Zweig kommen, weil ‚es zu schaffen‘, wie Marija in einer Szene sagt, bedeuten würde, die Grenzen der Moral zu überschreiten.“ (Srdan Golubovic). (bb)
am 25.5.2012 um 19.00 Uhr
am 26.5.2012 um 21.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Besa
Solemn Promise
SRB/SLO/HR/F/H 2010, R: Srdjan Karanovic, D: Miki Manojlovic, Iva Krajnc, Nebojša Dugalic, Radivoje Bukvic, 106′ 35 mm, OmeU
1914. Filip, Rektor eines serbischen Kleinstadtgymnasiums, wird zum Kriegsdienst einberufen. Um seine Ehefrau, die er beim Studium in Westeuropa kennen gelernt hat, nicht allein zurückzulassen, sucht er jemanden, der sich während seiner Abwesenheit um sie kümmert. Doch niemand möchte sich der jungen Slowenin annehmen, mit Ausnahme des albanischen Hausmeisters Azem. Mit der gebildeten Slowenin und dem Analphabeten Azem treffen zwei unterschiedliche Welten aufeinander. Seiner patriarchalen Tradition verpflichtet, schwört Azem seine „Besa“: die ihm Anvertraute zu beschützen, auch wenn er dafür sein Leben geben muss. Doch hinter dem Zweckbündnis zwischen dem Muslim und der Christin entwickelt sich schon bald eine tiefere Zuneigung. Mit Besa widmet sich Srdjan Karanovic nach dem 1989 entstandenen Film ohne Namen ein weiteres Mal einem Schlüsselproblem der serbischen Gesellschaft: dem Verhältnis zu der albanischstämmigen Bevölkerung. Allerdings geht Karanovic nicht so weit wie sein Kollege Goran Paskaljevic, der das Thema in Honeymoons als Gegenwartsdrama behandelt. Besa exemplifiziert den Konflikt in einem Historienfilm, in dem der Albaner Azem von dem serbischen Schauspielstar Miki Manojlovic gespielt wird. (bb)
am 25.5.2012 um 21.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Ordinary People
F/SRB/CH 2009, R: Vladimir Perišic, D: Relja Popovic, Boris Isakovic, Miroslav Stevanovic, 80′ DigiBeta, OmeU
Eine Kaserne außerhalb der Kampfzone. Unter den jungen Berufssoldaten ist der 20-jährige Džoni, ein „Neuer“. Als die Einheit zu einem verlassenen landwirtschaftlichen Gelände gefahren wird, beginnt ein nervenzehrendes Warten. Irgendwann kommen Lastwagen mit Männern, die als „Feinde“ bezeichnet werden. Den sieben Soldaten wird befohlen, diese „Feinde“ zu liquidieren, ohne dass es, so der befehlshabende Offizier später, „jemals eine Anordnung gegeben“ habe. In seinem mehrfach ausgezeichneten Spielfilmdebüt stellt Vladimir Perišic die Frage nach der persönlichen Verantwortung mit einem streng kalkulierten inszenatorischen Konzept. Kalte Bilder unter sengender Sonne protokollieren die Genese eines Kriegsverbrechens, deren innere Routine von sozialem Gruppendruck, Angst vor den Vorgesetzten, soldatischer Disziplin, moralischer Abgestumpftheit und anschließenden Verdrängungsprozessen geprägt ist. Auf der Rückfahrt unterhalten sich die jungen Männer: „Wie viele Schüsse hast Du abgegeben?“ – „Weiß nicht. So viele wie die anderen.“ (bb)
am 26.5.2012 um 19.00 Uhr
am 27.5.2012 um 21.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Dovidenja, kako ste?
Goodbye, How Are You?
SRB 2009, R: Boris Mitic, 80′ DigiBeta, OmU
In Serbien hat sich, vor dem Hintergrund verschiedener historischer Krisen von der osmanischen Besetzung bis zur Ära Miloševic und dem NATO-Bombardement, eine Tradition des Schwarzen Humors verfeinert, mit der die jeweilige aktuelle Lage und jüngere Vergangenheit kommentiert werden – Aphorismen, die sich durch satirische Schärfe und das Wortspiel mit umgangssprachlichen Topoi und Sprichwörtern auszeichnen: „Die schwarze Katze lief vor uns über die Straße, am nächsten Tag war sie tot“. Pointiert und mit philosophischer Qualität werden Mentalität und Zeitgeist einer ganzen Region aufs Korn genommen, deren innere Widersprüche treffsicher mit nur wenigen Worten beschrieben: „Für all unsere Fehler machen wir unsere Mentalität verantwortlich – das ist unsere Mentalität“, „Wir sollten unseren Feinden vergeben, um sie dann als Freunde zu vernichten“. Der ehemalige Journalist und filmkünstlerische Autodidakt Boris Mitic stellt sich in seinem Essay Dovidjenja, kako ste? der Herausforderung, den intellektuellen Wortwitz der Aphoristen zu verfilmen. Auf mehreren Reisen quer durch Serbien und in den Archiven fand er Szenen aus Gesellschaft, Alltag und Krieg. Daraus entstand ein tiefsinnig-sarkastischer Bilderbogen mit klug zusammengestellten Aufnahmen, die martialische Gesten und Momentaufnahmen, Schock und Groteske mischen – bitter-ironisch, manchmal zynisch, ins Herz der Nation treffend. (bb)
am 27.5.2012 um 19.00 Uhr
KINEMATOGRAFIE HEUTE: SERBIEN
Žena sa slomljenim nosem
Belgrad Radio Taxi
SRB/D 2010, R: Srdan Koljevic, D: Anica Dobra, Nebojša Glogovac, Branka Katic, Nada Šargin, 104′ 35 mm, DF
Auf der Brücke, die die Satellitenstadt Neu-Belgrad mit dem historischen Zentrum der serbischen Hauptstadt verbindet, stockt mal wieder der Verkehr. Zu den Gefangenen des Dauerstaus gehören der Taxifahrer Gavrilo und sein Fahrgast Jasmina. Als die junge Frau plötzlich aussteigt und von der Brücke springt, werden auch die Lehrerin Anica und die Apothekerin Biljana Zeuginnen des Zwischenfalls. Der einsam gebliebene Bosnien-Flüchtling Gavrilo indes steht ratlos vor dem Rücksitz seines Taxis, auf dem Jasmina ihr Baby zurückgelassen hat. Nach einem paukenschlagartigen Auftakt verdichtet Regisseur Srdjan Koljevic die Charakterstudien seiner Protagonisten zu einer Mentalitätsstudie der Stadt Belgrad. Mit psychologischem Feingefühl führt er Lebenswege und unerledigte Liebschaften zu einem lakonischen Stimmungsbild zusammen. Gavrilo, Anica, Biljana und die anderen, so Koljevics Credo, kommen mit ihren privaten Schicksalsschlägen nicht klar. Es nagen die Wunden des Krieges, der Verantwortung, der Schuld vielleicht. Davor gab es glücklichere Zeiten: Die Protagonisten gehören zu den Dauerhörern eines kleinen Radiosenders, der Oldies und Hits aus einer unbeschwerteren Ära im Programm hat. Musik, deren jazziger Moll gegen die Blau- und Grautöne der Gegenwart anspielt und mit verhaltener Melancholie das Prinzip Hoffnung rekonstruiert. (bb)
am 30.5.2012 um 20.00 Uhr |